Es ist Herbst. Blätter und Pflanzen sterben ab. Sie verwehen im Regen. Etwa ab Michaeli werden die Nächte wieder länger als die Tage. Zunehmende Dunkelheit begleitet uns trotz aller künstlichen Lichtquellen. Viele Menschen sind jetzt nachdenklich gestimmt. Mancher fragt nun nach dem Sinn des Lebens und nach seinen persönlichen Aufgaben in der Welt. So kann Selbsterkenntnis entstehen
und reifen. Aus der zunehmend globalisierten und scheinbar immer bekannteren Welt dringen interessante, vor allem aber beunruhigende Nachrichten nach Benefeld. Schweift der Blick weg vom eigenen Ich zu den Mitmenschen, wird eine Wahrheit immer deutlicher: Jeder Mensch trägt in sich zwei Seiten: Einem edlen, hilfreichen Charakterzug stehen regelmäßig niedere, egoistische Beweggründe und Triebe gegenüber. Wer ehrlich ist, wird beide Seiten bei sich selbst kennen.
Solche Bilder vom Unedlen, vom Bösen oder Bilder des Absterbens können Furcht wecken. Als Geist der Hindernisse, als Urheber von Furcht galt früher der Drache. Unser Drache an der Tafel bleckt die gelben Zähne und speit Feuer aus seinem Lügenmaul. Direkt um ihn herum ist alles in der Dunkelheit erstarrt. Vielleicht meint die Bestie sogar noch, den Kampf zu gewinnen. Aber Michael hat ihn bereits sicher unter seine Füße gebracht. Mit der Lanze hält er das Untier fast spielerisch fest am Boden. Der Drache ist (vorerst) bezwungen. Aber er darf natürlich nicht sterben. Denn was geschähe mit uns und mit der Welt, wenn das Böse nicht nur besiegt, sondern sogar getötet würde?
Während Michael das Böse scheinbar mit Leichtigkeit bezwingt, blickt er über das Scheusal hinweg. Er sieht den Drachen nicht direkt an. Vielleicht mahnt er uns so, nicht allzu sehr auf Verfehlungen zu achten. Denn der Blick auf das Böse oder die Untaten kann lähmen. Dabei ist es unerheblich, ob eigene Verfehlungen oder die anderer betrachtet werden. Wir aber wollen nicht vor Furcht erstarrt blicken, sondern Gutes bewirken. Vielen Menschen helfen dabei Ideale. Mit deren Hilfe können Verfehlungen zukünftig hoffentlich vermieden werden. Lasst uns also nicht den Drachen anstarren, sondern auf Michael blicken, wie im Michaeli-Lied des gemeinsamen Morgenkreises oft gesungen:
„… Den Drachen Du bezwungen hast, Sankt Michael
und unter Deinen Fuß gebracht.
Hilf uns hie kämpfen, Die Feinde dämpfen,
Sankt Michael….“